Immer mal wieder habe ich habe während des Schreibens von „Im Feuer der Freiheit“ bedauert, dass Hamburg eine so vergleichsweise moderne Stadt ist. Viele der Orte und Bauwerke aus dem Jahr 1813 gibt’s leider nicht mehr zu sehen. Umso mehr freue ich mich, hier einen Ort zeigen zu können, der die Jahrhunderte überdauert hat:
In meiner Geschichte berichte ich von einem alten Hamburger Sagenhügel (siehe auf dem Bild unten), auf dem ein armes Nönnchen des Klosters Harvestehude bestattet worden sein soll (in ungeweihter Erde!), nachdem sie vom geistlichen Gericht zum Tode verurteilt worden war.
Natürlich war sie völlig unschuldig, und wie das in solchen sagenhaften Fällen zu gehen pflegt, war alles eine schreckliche Verkettung unglücklicher Umstände!
Was war passiert?
Die junge Agnes, ihres Zeichens tragische Heldin dieser Sage und reiche Kaufmannstochter, war im Begriff ihre große Liebe zu heiraten – einen veramten Adligen aus dem Umland. Der Jüngling wollte jedoch erst noch zu Vermögen kommen und zog aus, um in den Kreuzzügen sein Glück zu machen. Er kam und kam nicht wieder und schließlich glaubten alle ihn tot. Mit gebrochenem Herzen und um einer Zwangsverheiratung durch ihren gierigen Vater zu entgehen, ging unsere Agnes ins Kloster, wo sie ihr Leben Gott weihte.
Nun passierte das Unglaubliche: Ihr Verlobter kehrte zurück und traf sie eines Abends heimlich im Klostergarten, nachdem er mannhaft den See, den wir heute Außenalster nennen, durchschwommen hatte. Unter vielen Tränen und Umarmungen erklärte Agnes, dass sie trotz ihrer Liebe zu ihm standhaft bleiben musste und ihn nicht heiraten konnte. Schließlich war sie nun Braut Christi. Unter großem Schmerz trennten sich die beiden, um sich in diesem Leben nie wiederzusehen.
Er zog gramgebeugt wieder in die Fremde, Agnes jedoch wurde von einer giftigen Neiderin bei dem heimlichen nächtlichen Treffen beobachtet: Sie wurde vor dem geistlichen Gericht angeklagt, man warf ihr vor, dass sie Umgang mit einem Mann gehabt und so ihr Gelübde gebrochen hatte.
Da niemand zu ihrer Entlastung vorsprechen konnte und sie das Treffen des Nachts im Garten auch nicht leugnete, wurde sie zum Tode verurteilt. Weil die Herren des Gerichts Mitleid mit der armen jungen Frau hatten, durfte sie jedoch die ungeweihte Stelle bestimmen, an der sie bestattet werden wollte. Sie wählte einen kleinen Hügel, der dem Klostergelände genau gegenüber lag. Auf diesem Hügel stand ein kleines Lindenbäumchen. Agnes verfluchte es und prophezeite, dass es nie größer werden sollte, als es zu dieser Stunde war: alle künftigen Zeiten sollten daran ihre Unschuld erkennen!
Soweit die Legende. Vor allem versichert uns die sagenhafte Überlieferung, dass das Lindenbäumchen in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten nicht einen Zentimeter wuchs – genau, wie Agnes es vorausgesagt hatte.
Was für eine wunderbar dramatische Geschichte, dachte ich mir, und habe sie gleich in meinem Roman verarbeitet.
Außerdem habe ich mich auf die Suche nach diesem Hügel gemacht – und siehe da: Direkt dem alten Klostergelände gegenüber liegt eine Anhöhe (für Hamburg recht ungewöhnlich. Hier ist ja in der Regel alles ziemlich platt). Besteigt man sie, stehen oben tatsächlich Lindenbäume! Einen besonders kleinen Baum konnte ich zwar nicht entdecken, auch das Kreuz, dass Fanny und Alvesloh auf der Kuppe finden, ist leider nicht vorhanden, - aber wer weiß, vielleicht haben andere Spürnasen beim Suchen mehr Glück... .
Wer diesen Ort so wie ich anschauen möchte: Der Hügel findet sich an der Ecke Mittelweg/Harvestehuder Weg (er wird heute Licenciatenberg genannt). Schilder, die auf die Klosteranlage verweisen, finden sich gegenüber, wo jetzt eine Wohnanlage und ein kleiner Park stehen.
Noch eine Bemerkung: Die Straße, die in gerade Linie auf den Berg zuführt, heißt in ihrem ersten Teil Innocentiastraße. Zwar geht man heute davon aus, dass die Straße nach Papst Innozenz IV. (1195-1254) benannt wurde, der zu Klostergründungszeiten amtierte. Mir erklärt das jedoch nicht, warum der Straßenname eine so eindeutig weibliche Endung trägt (Innocentia = die Unschuldige). Wäre die Straße nach einem Papst benannt, hätte man sie wohl eher Innocentius-Straße genannt. Ist der Name nicht doch eine Erinnerung an unsere Unschuldige? Das muss vermutlich jeder für sich selbst entscheiden ... .
Sagenhügel - Blick von oben
Verwunschenes Treppchen zum Hügel
Innocentia-Straße - wirklich ein Papstname?